1931-1933

1931/32

Hötensleben in der Niedersachsen-Oberliga

Die Mannschaft des SVH 1911 hatte sich gut auf den Start in der neuen Spielklasse vorbereitet. Zu den Kontrahenten gehörten Arminia Hannover, Eintracht Braunschweig, Han-nover 96, Hildesheim 06, Leu Braunschweig, Hannover 97, VfB Braunschweig und der VfB Peine. Hötensleben war der einzige Dorfverein in dieser Spielklasse. Das erste Punktspiel endete mit einem Fiasko, denn der SVH erlitt bei Arminia Hannover eine 1:12-Niederlage. Wer nun geglaubt hatte, der Verein würde in der Folgezeit sang- und klanglos untergehen, der sah sich getäuscht.

Siege gegen den VfB Peine (3:2), Hannover 97 (2:0) und Leu Braunschweig (2:1) in der ersten Halbserie trugen dazu bei, das Selbstvertrauen der Mannschaft zu festigen. Einen großen Beitrag an der Stabilisierung der Leistung hatte auch der Anhang, denn durchschnittlich kamen 2000 Zuschauer und oft noch mehr zu den Heimspielen. Aber auch in den größeren Städten spielten die Hötenslebener nicht vor „leeren“ Rängen, denn man war inzwischen überall neugierig auf die „Dorfmannschaft aus der Börde“ geworden.

Auch in der zweiten Halbserie zeigten die SVH- Aktiven, dass sie durchaus in der Lage waren, in der Oberliga mitzuhalten. Punktgewinne gegen Hannover 96 (2:1) und Hannover 97 (3:3) trugen dazu bei, dass die Zugehörigkeit zur Niedersachsen Oberliga auch für die Saison 1932/33 gesichert werden konnte.


 Spielankündigung Hannover 96

 

Abschlusstabelle 1931/32

6. März 1932

Der Deutsche Fußballmeister Hertha BSC 1932 zu Gast in Hötensleben

Wenn man das Fußballjahr 1932 in Hötensleben einmal genauer unter die Lupe nimmt, kommt man auch heute noch aus dem Staunen nicht heraus. Dem SVH 1911 gelang es, die Deutschen Fußballmeister Hertha BSC Berlin und die Spielvereinigung Fürth zu Gastspielen in Hötensleben zu verpflichten. Keinem Stadtverein in der näheren und weiteren Umgebung war es bis dahin gelungen, zwei Deutsche Fußball-meister in einem Jahr zu Gastspielen zu gewinnen und einem Dorfverein erst recht nicht. Wie ein Lauffeuer hatte sich Anfang 1932 in der hiesigen Region die Kunde verbreitet, dass es dem Vereinsvorstand gelungen war, den amtierenden Deutschen Fußballmeister Hertha BSC Berlin zu einem Privatspiel (heute Freundschaftsspiel) am 6.März in Hötensleben zu verpflichten. Der SV 1919 Hötensleben hatte allen Unkenrufen zum Trotz den Klassenerhalt in der Niedersachsen-Oberliga geschafft, in die er ein Jahr zuvor aufgestiegen war.

Die Berliner gehörten zu der damaligen Zeit zu den leistungsstärksten und beliebtesten Mannschaften in Deutschland und hatten mit dem überaus populären, zehnfachen Nationalspieler Hans (Hanne) Sobek einen Fußball-Liebling der der 1920er und 1930er Jahre in ihren Reihen. Hertha BSC war von 1926 bis 1931 sechsmal (!) hintereinander in das Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft vorgedrungen und konnte sich 1930 und 1931 jeweils mit dem Meistertitel schmücken.
Dr. med. Rudolf Meyer, der damalige Vereinsvorsitzende des SVH 1911, hatte durch kluge Vertragsklauseln absichern können, dass den Herthanern gar nichts anderes übrig blieb, als mit der Stammformation anzutreten, wenn sie „auf ihre Kosten“ kommen wollten. Und die Hauptstädter kamen mit ihrer besten Truppe, denn neben Sobek gehörten auch die Internationalen Gehlhaar, Wilhelm und Kirsey zum Aufgebot.

Für ein Ereignis, das solange zurück liegt, lassen sich heute kaum noch Zeitzeugen finden. In Hötensleben wohnen heute (2013) aber noch zwei, die damals „hautnah“ am Geschehen dran waren. Otto Künnemann und Günter Henseleit waren 1932 zwölf beziehungsweise elf Jahre alt. Sie standen mit anderen beim Einmarsch beider Mannschaften Spalier und fungierten während des Spiels als Balljungen.  

 MDR-Sportreporter Guido Hensch beim Interview mit den Zeitzeugen Otto Künnemann und Günter Henseleit (rechts).
 

Am Mikrofon von MDR-Radio Sachsen-Anhalt erinnerten beide daran, dass schon in den frühen Vormittagsstunden der Aufmarsch der Fußballanhänger begann, die aus allen Himmelsrichtungen kamen. In Bussen, auf Lastkraftwagen, in Pkw, auf Fahrrädern, per pedes und sogar mit Pferdegespannen waren sie angereist.

„Rund um den Sportplatz stand alles voller Fahrräder, und jeder Besucher war bestrebt, sich einen günstigen Sichtplatz zu suchen,“ erinnerte sich Otto Künnemann und Günter Henseleit ergänzte, dass man sogar Traversen errichtet hatte. „Die Zuschauer,“ so fuhr er fort, „standen in mehreren Reihen dicht an dicht bis an den Spielfeldrand heran. Auch auf den umliegenden Hausdächern und Bäumen sah man einige sitzen.“

 

 6000 (!) Besucher, Hötensleben hatte damals etwa 5000 Einwohner, wollten das Spiel sehen. Zahlreiche fleißige Helfer hatten den Platz und das Umfeld mit Unterstützung der Gemeindeverwaltung und der Braunschweigischen Kohle-Bergwerke (BKB) auf Vordermann gebracht. Auf die Frage von Reporter Hensch, welche Erinnerungen sonst noch in ihrem Gedächtnis haften geblieben sind, schilderten sie ein weiteres Erlebnis: „Als die Berliner durch unser Spalier gingen, stand man den bekannten Spielern, wie Hanne Sobek, Kirsey, Gehlhaar, Wilhelm und anderen, deren Namen man schon oft in der Zeitung gelesen hatte, fast von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Das haben wir bis heute nicht vergessen.“

 

 Wie alle anderen Zuschauer erfreuten sich auch Otto Künnemann und Günter Henseleit am Spiel der Berliner, die teilweise „zauberten“, Kombinationen am Fließband boten und am Ende als klarer 9:0-Sieger den Platz verließen.

Elsbeth Meier und Else Brix (von links), zwei freundliche Hötensleberinnen, reichten den Hertha-Spielern in der Halbzeitpause ein warmes Getränk.

 

„In der Halbzeitpause wurde den Spielern auf dem Platz von zwei hübschen, jungen Damen aus Hötensleben ein warmes Getränk in Tassen kredenzt. Das hat man so danach in Hötensleben nie wieder gesehen“, erinnerte sich Günter Henseleit und fuhr fort: „Die Berliner haben sich in Hötensleben sehr wohl gefühlt, das betonten sie immer wieder. Sie seien mit großer Herzlichkeit empfangen, aufgenommen und betreut worden.“ Und Otto Künnemann fügte hinzu: „Der überall beliebte Nationalspieler Hanne Sobek fand nach dem Spiel lobende Worte für den Verein, die Hötenslebener Spieler und die fairen und begeisterungsfähigen Zuschauer.“ In Ihren Aussagen und Beobachtungen waren sich Künnemann und Henseleit fast immer einig. Auch darüber, dass sie es nicht so gut fanden, in der Schule danach einen Aufsatz über den Besuch von Hertha BSC Berlin in Hötensleben schreiben zu müssen.

 

 …Otto Künnemann und Günter Henseleit entwickelten sich später selbst zu erstklassigen Spielern, denen der unselige Zweite Weltkrieg leider ihre besten Sportlerjahre raubte. Sie gehörten in ihrer aktiven Laufbahn ohne Zweifel zu den leistungsstärksten Spielern, die je ihre Töppen für Hötensleben schnürten. Als Trainer und langjährige Sportfunktionäre erwarben sie sich nach der Beendigung ihrer aktiven Laufbahn Achtung und Anerkennung im Verein und in der Öffentlichkeit. Eine kleine aber bemerkenswerte Episode soll den unvergesslichen „Hertha BSC-Tag 1932“ abrunden: Otto (Ante) Drube, der langjährige Kapitän der Mannschaft aus Hötensleben, gehörte auch in diesem Spiel zu den Besten. Als er 1993 seinen 90.Geburtstag feierte, erhielt er zu seiner Überraschung auch ein Glückwunschschreiben des Berliner Traditionsclubs. Diese völlig unerwartete, nette Geste hat ihn damals sehr bewegt!

  Pressemeldungen vor dem Hertha-Spiel 

 

  1. Juni 1932

Deutscher Fußballmeister Spielvereinigung Fürth in Hötensleben
Am 26. Juni 1932 kam der dreifache Deutsche Fußballmeister Spielvereinigung Fürth zu einem Gesellschaftsspiel nach Hötensleben. Auf dem Sportplatz an der Bahnhofstraße erlebte der Bergarbeiterort vor 75 Jahren innerhalb kurzer Zeit seinen zweiten Höhepunkt, denn bereits am 6. März hatte der amtierende Deutsche Meister von 1931 Hertha BSC Berlin seine Visitenkarte in Hötensleben abgegeben.

Die Spielvereinigung Fürth, im Volksmund auch die „Kleeblätter”genannt, war 1914, 1926 und 1929 jeweils Deutscher Fußballmeister geworden. 1932 standen mit Ludwig Leinberger (22 Länderspiele), Hans Hagen (12), Andreas Franz (10), Georg Frank (4) und Ludwig Wenz (1) fünf Nationalspieler in der Mannschaft. Der populärste von ihnen war der damals 29-jährige Leinberger, der seinerzeit zu den besten Mittelläufern in Europa gehörte. Folgen wir zunächst einmal dem „Hötenslebener Anzeiger”, der sich ausführlich mit dem bevorstehenden Spielbeschäftigte. In seiner Ausgabe vom 18. Juni 1932 konnte unter der Überschrift „Hötenslebens zweite Fußball-Sensation” folgendes lesen: „…Wie eine Bombe aus heiterem Himmel platzte heute morgen die Nachricht in unser trautes, stilles Hötensleben, daß die Spielvereinigung Fürth am 26. Juni nach Hötensleben kommt. Das ist nach Hertha-BSC bestimmt eine noch größere Sensation, denn bei den Süddeutschen wirkt der beste deutsche Mittelläufer Leinberger mit, der immer und immer wieder das Rückgrad der deutschen Nationalmannschaft war. An anderer Stelle heißt es, „… für den Fall, daß Hötensleben die Fürther nicht verpfl ichtet hätte, hätte der Hamburger Sportverein die Süddeutschen genommen. Der Südbezirksvorstand aber weiß, dass bei uns in Hötensleben die Süddeutschen eine bessere Aufnahme finden werden und empfahl ein Spiel hierorts.” Auch die „Helmstedter Nachrichten” beschäftigten sich ausführlich mit der Begegnung. „…Am morgigen Sonntag spielt der mehrfache Deutsche Meister, die Eliteklasse Süddeutschlands, auf dem Sportplatz an der Bahnhofstraße. Alle Hochachtung vor dem SVH, das macht ihm so leicht keiner nach, es gehört allerhand Unternehmungsgeist dazu, solch namhaften Gegner zu verpfl ichten. Aber von den Hötenslebern ist man es ja gewohnt, dass sie keinen Gegner und ist er auch noch so groß, scheuen, in keiner Beziehung. Unter der vorzüglichen Leitung des 1. Vorsitzenden Dr. Meyer erreichte der SVH seine Blütezeit, unter ihm gewann die erste Elf die Oberliga, ihm ist es zu danken, das auch dieses Spiel zustande gekommen ist.” An anderer Stelle heißt es: „ Die Fürther haben die stärkste Besetzung zugesichert, so dass also wieder erstklassiger Sport gezeigt werden wird.

 

 

Spielausschuß und Vorstand sind dafür, der Mannschaft große Gegner zu verschaffen, damit die Spieler lernen und dies dann in den Punktspielen verwerten können. Die Platzanlage des SVH ist für große Spiele geeignet, die zu erwartenden Zuschauermassen aus der näheren und weiteren Umgebung haben genügend Sichtgelegenheit, um alle Einzelheiten des Spieles verfolgen zu können.” In der Ausgabe des „Hötenslebener Anzeigers” vom 25. Juni 1932 wird noch einmal eindringlich auf folgenden Fakt verwiesen: „…Die Fürther bitten uns, mitzuteilen, dass Leinberger auf alle Fälle hier noch spielt und erst von hier aus am Sonntag abend nach Berlin weiter fährt, von wo aus die deutsche Ländermannschaft am Dienstag nach dem Auslande ( Finnland / R.K. ) die Reise antritt.” Der 26. Juni 1932 war ein angenehmer Sommertag, so richtig dafür angetan, einen großen Fußballtag zu erleben. Folgen wir wieder der örtlichen Zeitung, die unter der Überschrift „Überlegen in Hötensleben, Fürth siegt 7 : 0 ( 6 : 0 )” das nachfolgende Resümee zieht: „Die Sportgemeinde von Hötensleben und Umgebung hatte wieder einen großen Tag. Über 3000 Zuschauer hatten sich eingefunden, die, was die Spielweise der Gäste anbelangt, auf ihre Kosten gekommen sein dürften. Allgemein war man der Meinung, dass die Süddeutschen ein noch besseres Spiel gezeigt haben als seinerzeit Hertha BSC. Diese Leute aus Süddeutschland waren hervorragende Taktiker, die den Hötenslebern noch viel zeigten. Jeder Mann verriet großes Können. Mit Leichtigkeit wurde der Körper bewegt, sicher war die Ballführung, ausgezeichnetes Kopfballspiel paarte sich mit fehlerloser Fußarbeit. All das lässt auf intensives Training schließen.” Fürth, in Bestbesetzung antretend, hatte die erste Halbzeit klar dominiert. Trotz der sechs Tore war Gierschewski der beste SVHMann. Auf der Gegenseite zeigte Leinberger ein herausragendes Spiel, erhielt für seine Leistung häufig Beifall auf offener Szene. In der zweiten Halbzeit erlebten die Zuschauer eine SVH-Elf die sich gewaltig steigerte. Der Berichterstatter des „Hötenslebener Anzeigers” stellte fest: „ Die Hötensleber wurden nun bedeutend besser, der Sturm arbeitete planvoller. In dieser Spielhälfte verdarb die verstärkte Hintermannschaft den Fürthern durch energisches Dazwischenfahren viel. Die Hötensleber wurden immer wieder angefeuert, aber das verdiente Ehrentor blieb ihnen leider versagt. Leinberger musste infolge einer Verletzung ausscheiden”. Beim Länderspiel in Finnland war er aber wieder einsatzfähig. Dieses Spiel gegen Fürth 1932 ist in den Annalen der Hötenslebener Fußballgeschichte bis heute mit einem Ausrufezeichen versehen!

 

1932/33

Das zweite Jahr in der Oberliga

Der Start in das Spieljahr1932/33 begann sehr verheißungsvoll, denn in einem spannenden Spiel wurde gleich zum Auftakt Eintracht Braunschweig mit 3:1 besiegt. Auch gegen Hannover 96 zeigte die Mannschaft ein gutes Spiel und verlor am Ende etwas unglücklich durch ein Elfmetertor. Im weiteren Verlauf der Saison waren die Leistungen der Elf sehr wechselhaft, so dass man über eine längere Zeit hinweg in Abstiegsnöten schwebte. In einem starken Endspurt mit Siegen über die Braunschweiger Mannschaften Eintracht und Leu sowie über Algermissen, wurden die zum Klassenerhalt notwendigen Punkte erkämpft. Somit konnte man auch am Ende der Saison 1932/33 verbuchen, nicht aus der Niedersachsen-Oberliga abgestiegen zu sein, wenn sie weiter bestanden hätte. Die 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialisten installierten danach ein neues Spielklassen-System. 

 

Oberliga-Tabelle 1932/33